Mutter Staat

Unser Vater, der Rechtsanwalt und leidenschaftlicher Strafverteidiger war, brachte schon uns Kindern bei, wie wenig dem Staat zu trauen sei. Die Macht über kleinste Verfahren lade nun mal zum Misssbrauch ein. Oft genug klingelte bei uns zuhause das Telefon und ein Mandant, der die Polizei im Hause hatte, verlangte mit Tränen in der Stimme nach meinem Vater. Obwohl zutiefst konservativ, war er qua Profession Gegenspieler von Polizei und Staatsanwaltschaft und hatte verinnerlicht, dass Staatsrecht auch Recht wider den Staat sein muss. Einst riet er mir, dem Finanzamt die Antwort zu verweigern, das wissen wollte, wie ich von wenigen hundert Mark im Monat lebte. Das ist meine Sache, sollte ich zurückgeben, ich lasse mich nicht ausforschen. Eine Lehre, an die ich jetzt wieder denken muss, da wir nach Sicherheit rufen und kaum jemand sagen würde, der Staat handelt zu stark, zu schnell – außer Simone Peter, die sich für ihre Fragen nach der Kölner Silvesternacht entschuldigen musste, oder ein paar ewig gestrig Liberale, die unsere Daten verteidigen. Die politische Krise infolge der Flucht und der internationale Terror machen es möglich: Wir werden demütig, selbst leiser Zweifel an der Macht erntet lauten Protest, ja Hohn und Hass. Die Not scheint selbst aus alten Feinden Staatsfreunde zu machen.