Würde

 

Gestern ging ich durch die nach Wochen eisiger Kälte leicht angetaute Stadt, grau-gelbe Schneeberge auf den Gehwegen, loser Rollsplitt überall, wenige Passanten, vom Frost befreite Gerüche, die Autos überlaut. Plötzlich, auf Höhe der „Lenbachgärten“, einem Münchener „Premium-Stadtquartier“, eine dunkle Gestalt auf einer Rolltrage, wie schwebend zwischen zwei Männern, die zu einem am Straßenrand stehenden schwarzen Sprinter gingen. Trauerhilfe. Zur Linken sah ich jetzt, hoch auf den Stufen der Stiftskirche St. Bonifaz, einen dritten Mann unterm Portikus ein rot-weiß-rotes Absperrband zusammenknüllen und in einen großen blauen Müllsack stopfen. Vor dem schweren Eisentor, das wohl lange nicht mehr offen war, lagen drei, vier oder fünf Schlafsäcke ineinander, wie von jemandem zurückgeschlagen, der eben aufgestanden ist. Ich war schon vorüber, als ich begriff, und drehte mich um. Der Mann vor der Kirchentür starrte zurück. Sein Blick brannte – vor Wut oder Trauer oder nur der nassen Kälte wegen. Die Männer am Wagen hoben den geschlossenen Bodybag von der Bahre, die SiIhouette eines Menschen – die hohen Füße, der lange Körper, ein mächtiger Kopf -, den die Welt vergessen hat.

Ich bin heute nochmal hingegangen. Jemand hat für den Verstorbenen Blumen hingelegt und eine Kerze angezündet.

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