Schlussplädoyer

Nachtrag zum 31. Dezember 2018

Unter allen, die nach Macht streben, mochte ich den Angeber immer am wenigsten. Auch wenn das eine inzwischen kaum mehr ohne das andere geht, gibt es sie noch – die leisen Strippenzieher, die Hinterzimmerer der Macht, genießerische Intriganten, Oberseilschaftler, Mehrheitsbeschaffer, smarte Teamster, nur ist der Angeber im ausentwickelten Kapitalismus der weitaus Talentierteste und Radikalste, als wütende Ich-AG, treffsicherer Egoshooter, kantenscharfer Icherich unter all den eh schon hippen Selbsterfindern und -behauptern. Wer nichts aus sich macht, wird ausgelacht, war ein blöder Spruch meines Vaters – ein Angeber, der seinesgleichen suchte und dabei doch allen irgendwie sympathisch blieb. Wahre Angeber sind nicht sympathisch, sie haben nun mal die Macht errungen und werden sie behaupten bis zum letzten Zug, noch auf der Bahre mobilisieren sie alles für einen letzten Triumph und ziehen noch einmal in die Schlacht, wenn es sein muss liegend. Und wir tragen sie dorthin, verständnisinnig lächelnd, nur milde beschämt. Sie brauchen uns, die AngeberInnen, sie zehren von der Liebe, die wir ihnen schenken. Wir hätten sie für uns behalten sollen. Mich hielten sie oft genug davon ab, selbst in den Ring zu steigen, von Kindestagen an; immer drohen sie laut zu werden, plustern sich mächtig auf in der Pubertät, um im Leben nicht mehr zu verschwinden, kehren als Wächter zurück vor den kleinen und großen Paradiesen, Türsteher zur Wirklichkeit, die einem die Wirklichkeit verderben, lächerliche Schreckgespenster, doch Gespenster, Buh- und Mann-o-Männer, der Mann von Frau Igel (und ich der Hase, der sich derrennt), und ebensolche Frauen, natürlich, und jede und jeder wird zur Portalfigur vor den dunklen Gemächern der Bedeutung, zum Welterklärer, Kämpfer, Excathedraist, Geistesfürst, Straßenkämpfer, Aktivist, gefühlsmonströsem Loner mit überdehntem Herz. Hin und wieder streife ich durch diesen Wald aus lichten Gestalten, natürlich nicht pfeifend, eher kaum hörbar summend, in der Hoffnung, auf etwas Reisig, nur eine halbe Fichtennadel der Liebe zu stoßen, die einer von ihnen übrig ließ, und dann wird es Abend, die Dunkelheit bricht jäh herein, es wird noch einmal kälter, und ich richte mich auf und atme durch und sehe, sie sind nicht minder allein, und zittere mit im Dunkel der Nacht, schweige mit und unke mit und rufe Uhh mit dem Käuzchen und heule mit den sieben Wölfen und würde so gern auf mich aufmerksam machen, auf dass mich wer hört und da rausholt. Es ist nun mal so: Wer laut gibt, bleibt nicht leise, wer den Mund aufmacht, hält sich nicht zurück, wer ihn nicht voll nehmen will, sollte schweigen können, und wer was schreibt, will etwas bedeuten, und sei es nur das eine kleine Wort, das so schrecklich anmaßende. Wir alle wollen irgendwohin, am liebsten nicht gleich nachhause. Lang genug habe ich auf diesem blog versucht von der Welt ohne mich zu handeln. Jetzt ist Schluss, für den Moment. Möge die Macht niemals mit uns sein!