Herdenblindheit

Jetzt da sich die Lebensgeister wieder regen, sollen sie unsichtbar bleiben. Wann haben wir Augen so vage leuchten sehen – von einem Lächeln, von nackter Angst, von nichts? Haare, Stirn, Brauen sprechen uns über Wüsten planer Gesichter an. Masken starren herüber, gar modisch (meist eher nicht), und wir sehen nichts, sie erzählen wilde Geschichten – vom emsigen Nähen, von radikaler Perfektion, vom Trug der Sicherheit, von rebellischem Stolz (kühn in lässige Tücher gehüllt), von echter Gelassenheit oder der Lust böse auszusehen (und der Staat will es so), von Paranoia und Pragmatismus – und geben doch nichts preis. Corona sei Dank sind wir erst einsam und jetzt unsichtbar geworden, Teil der globalen Herde, vom Virus gejagt, von Ämtern gezählt, von Maschinen beatmet, still ins Grab gelegt – oder in ein Leben entlassen, das nicht mehr leuchtet, sondern flackert, weniger strotzt als stottert, nicht trotzt, nur ächzt, und die Gemeinschaft löst sich auf und Positionen werden neu verteilt und alles und alle sind getrennt nach jung und alt (dem Tod geweiht), Opfer und Helden, Relevanz und Amoral, und erkannt zu werden ist wirklich befremdlich.