Postfaktischer Sex

 

Gestern kam Pollini in den Münchner Herkulessaal: Großer Abend, lange Zugaben und die mitreißende Energie eines alt gewordenen Mannes mit bedrohlich hagerem Schädel, das Publikum euphorisch. In der Pause und danach eine glücklich raunende Menge feinsinnig gestimmter Bürger. Ich hatte mir für das Ritual der Hingabe an den Kunstgenuss ein Glas Mut angetrunken, in der Pfälzer Weinstube, die abends um sieben ganz den alten Leuten gehört, was sie manchen gar verleidet. Dabei verpassen sie etwas: Zwischen autistischen Trinkern und müden Beamten sitzen hellwache Greise, Frauen, Männer, vor dem zweiten, dritten Glas, mit selbstironischem Grimm und einem Hunger, der einen 3a, 5a brauchen kann und doch nicht wirklich braucht. Die Energie, mit der sie einen wie mich mustern, hat sie einst die Welt erobern lassen, so viel, dass man es ihr nicht wirklich anmerkt.