Abhängen

Seit einem Jahr hören und lesen wir von den Abgehängten, die wir rechts liegengelassen hätten. Hätten wir nicht, wären uns Trump, die AfD und mehr erspart geblieben. Seit einem Jahr frage ich mich, was mich an dieser Rede stört, selbst wenn Autoren wie Didier Eribon sie pflegen. Im „abgehängt“, im „ausgegrenzt“, im nicht mehr „beheimatet“ oder „entwurzelt“ Sein schwingt immer ein Ton der Herablassung mit, allzu stolze Erkenntnis, eitle Empathie. Als wüsste jemand genau, was jene, die rechts wählen, denken und fühlen, als könnte er ihr Herz berühren und sie heilen. „Mit so vielen anderen habe ich mit meiner Stimme etwas auszudrücken, die Verweigerung, die Revolte und die Hoffnung“, schrieb Eribon zur Präsidentenwahl, um den linken Mélenchon zu empfehlen, wortmächtig unterstützt von seinen Freunden, dem Soziologen Geoffroy de Lagasnerie und dem jungen Autor Édouard Louis, der sich aufmachte all jene wiederzufinden, „die von ihrem eigenen Diskurs ausgeschlossen wurden“. Irgendwie erinnert mich das an die Studenten der 68er Zeit, die in die Fabriken gingen, um dem Arbeiter den Klassenkampf zu bringen. Was, wenn die Abgehängten nur abhängen und ansonsten bleiben wollen, wo sie sind, wo sie vor den Lesern ihres Elends, den Menschenverstehern ihre Ruhe haben, nicht nur im Rust Belt, in der Banlieue, in den Industriebrachen, in Sachsen? Um es klar zu sagen: Ich liebe Eribon, ich lese Louis, ich verstehe wohl die Wirkung de Lagasneries – ihr Griff nach den Abgehängten aber weckt meinen Zorn, weil er die neuen Wilden der hässlichen Gegenwart kolonialisieren will. Als hingen wir alle, die drei und so viele andere und ich, an etwas, das uns immun machte.