Peinlich

Am Samstag brachte die FAZ ein Stück aus „Die 21“, dem neuen Buch von Martin Mosebach, „Die Märtyrer“ überschrieben. Mit wachsender Faszination las ich die eingehende Filmbeschreibung von der grausamen Enthauptung einer Gruppe koptischer Christen an einem libyschen Strand durch Männer des IS Anfang 2015. Sie zieht den Leser unerbittlich ins Geschehen hinein und lässt ihn in ihrer kühlen Präzison umso mehr mit den Opfern empfinden. Sie analysiert Komposition und Symbolik der Bilder, die Kraft der Farben, die Maskerade der Täter, die Resignation der Opfer. Bald wird das Meer ihr „Blut aufnehmen“ – zuvor aber hebt der Autor zu einem alttestamentarisch grollenden Monolog an, den er einem der Mörder in den Mund legt. Diese imaginierte Rede – „Worte wie diese liegen, wenn auch unausgesprochen, in der Luft“ – kommt wie ein Überfall, brutal, stark, ungeheuerlich. Anfangs las ich es noch als Filmzitat, knapp 2000 Zeichen im Geiste des Zorns auf das „unmoralische Nützlichkeitsdenken“ des Westens, Bote einer „Hoheit des Schreckens“. Dann war mir, als erhebe da einer die Stimme eines anderen, dessen Macht ihn inspiriert, den eigenen Spielraum auszudehnen, auszusprechen, was er lange sagen wollte, nur eben zivilisierter, allein in Worten. „Ihr werdet von nun an wissen“, tönt die mörderische Rede, „dass eure Welt in Wahrheit schon untergegangen ist – daß auch dort, wo euch Glanz und Reichtum umgeben, nur noch Schatten sind“. Es ist, als wolle Mosebach uns sagen: Ihr sollt von nun an wissen, dass ihr nichts als Schatten nachjagt. Ist das erfrischend, groß, anmaßend, abstoßend? Wäre Lachen hier nicht deplaziert, würde ich es so kühn wie lächerlich nennen, eher klein in seiner Unangemessenheit, Vermessenheit. Eine im Wortsinn peinliche Phantasie von der Allmacht der Sprache.