Irrelevanzrelevanz

Die Verkäuferin im Drogeriemarkt, gestern, erschöpft nach einer Stampede von Hamstern, Tränen in den geröteten Augen. Schon wieder kein Papier mehr. Eine Heldin der Arbeit, nach einer Überschrift im Feuilleton – selten, dass Ironie ihr Ziel verfehlt -, angeschlagen an der Front der Krise, schiere Relevanz. Schwer zu sagen, was mich mehr verstört: der fortwährende Versuch, das Systemrelevante von all dem zu scheiden, was jetzt nicht so wichtig ist, oder die allgemeine Bereitschaft sich auf das Spiel einzulassen. Arzt, Ärztin, KassierIn, PflegerIn, wild entschlossene TrägerInnen von Verantwortung entscheiden ohne Zweifel in Zeiten der Seuche über den gefühlten Weltuntergang. Doch was ist mit Friseuren, Musikern, Türstehern, Schreinern, Dramaturgen, Tagträumern? Wie kommen wir aus der Isolation wieder heraus – ohne Gesang und Drama und Bretter, die mehr als diese Welt bedeuten, und groben Unfug? Die herrliche Wortmacht der Virologen bleibt unbestritten, wenn ich daran erinnere, dass der Mensch vom Brot allein nicht lebt, vom Notfallmanagement allein nicht lange überleben wird. Man sehe einen Augenblick die Tränen der Irrelevanten, der plötzlich Nutzlosen, der vor der Seuche ungleich Alten, Schwachen, der schon lange vor der Krise Überflüssigen, derer mit eher vagem Beruf und schräger Berufung, jetzt da der erste Passierschein bald ausgegeben wird, hinaus aus diesem Land of the Dead, und wir das Wort Triage lernen müssen, das so viel Ärgeres erzählt als die Priorisierung des Systemträgers vor dem jetzt gerade Unnützen. Blicken wir dem Ängstlichen in die tränennassen Augen, er könnte nicht (mehr) dazugehören, dem Depressiven, der jetzt erst recht ins Bodenlose einer Krise stürzt, die angeblich keine Unterschiede macht. Wie wollen wir ans Ende des Tunnels kommen, wenn wir nicht wirklich alle mitnehmen, auch die Helden der Irrelevanz? Viele der angeblich nicht so Krisenwichtigen sind es übrigens, die jetzt Trost zu spenden suchen, die isoliert musizieren, lesen, singen und alles streamen, vielleicht auch im Wunsch nach einer Relevanz, auf die es plötzlich ankommt.