Wir sind noch da

Wie fühlen wir uns jetzt, ohne Kontakt, allein? Ohne Auftrag, ohne Aussicht auf Ruhm, Umsatz und Erfolg, ohne das Netz, das uns eben noch getragen hat, irre unterwegs im allerkleinsten Radius, umgeben von harschen Verboten? Beim Spaziergang auf dem Feldweg kommen mir zwei Freunde entgegen – einer muss über die Wiese ab, auf dass wir nicht zur Rotte werden, eigentlich. Ein jeder, eine jede werden jetzt zu viel – potentielle Quelle und mögliches Opfer ansteckendster Ansteckung. Es ist, als lebten wir in einem riesigen Labor, Experimentator und Ratte in einem, auf dem Tisch die eigene Psyche (Stahlbeton, Luft, Espenlaub), und die Frage, wann wir durchdrehen (nicht ob). Die Krise selbst ist ansteckend, wer jetzt nicht Sand in den Augen hat von der Nacht, hatte nie ein Herz, wer sich diesmal nicht alleingelassen fühlt, ist schon als Eremit zur Welt gekommen. Soloselbstständig, welch ein Wort, alle sind es, vom Messebauer bis zur Hebamme. Die Kanzlerin in ihrer Quarantäne guckt immerhin noch Parlamentsfernsehen, Kreative kriegen immerhin noch einen Anruf und schreiben, wie sie mit den Kindern lesen oder als Zeichen der Liebe in die Küche gehen, Coronatagebuch. Und alle entschleunigen sich, wie schön. Nur, was tun die Obdachlosen jetzt, die Flüchtenden in Moria, all die in Syrien Eingekesselten – wo isolieren sie sich noch hin? Was macht der Paraoniker, dem kein Bett mehr freigehalten wird, der Klaustrophobiker, der sich eingesperrter fühlt denn je (zwischen dem Nichts da draußen und dem Nichts in sich), der Depressive, der sich nicht mal mehr das Gefühl leisten kann, dass er vielleicht doch übertreibt, und jeden Millimeter Boden persönlich nimmt, den die Welt gerade verliert. Was die gläubigen Jünger der Angst, der jetzt alle huldigen, Politiker, Wissenschaftlerinnen, Journalisten, SpaziergängerInnen, Stubenhocker. Was tut der Held, die Heldin – in Zeiten, da alles gefährlich, neuartig, beispiellos ist? Wachen auch sie jeden Morgen weinend auf? Wie paraonid werden wir noch werden? Wie wenig braucht es – an Hoffnung, Stolz, Gesellschaft, Liebe? Wie lange sind wir noch da?