vital

Eine Nacht am Radio zwischen vager Hoffnung und steigendem Entsetzen. Erstmals im Leben das volle Gewicht einer politischen Depression verspürt, wenn es das gibt, postdemokratische Verfinsterung. Und dann doch trotz allem wieder aufgestanden. Der eine helle Gedanke: Das wird interessant. So kalt wie die Analysen am Morgen, die einen echten Wahlsieger bewundern. Für seine Lügen, seine Unverschämtheit, die nackte Feier der Aggression? Für die schiere Vitalität, den Instinkt eines Raubtiers.

demut vor deinen bildern baby

Wie schnell es gehen kann: Eine Geste der Ohnmacht erobert die Welt – ein kleines Mädchen sitzt zum Schulstreik auf der Straße um für die Rettung der Erde zu kämpfen. Eine neue, sich selbst noch fremde Macht wächst heran. Jetzt posiert Greta Thunberg für die Befreiung Palästinas. Nichts für den Klimaschutz. Sie hat schon vor der UN in New York gesprochen und vor den Bossen der globalen Wirtschaft in Davos, jetzt wollte sie etwas zu Gaza sagen, vielmehr zeigen. Im Bewusstsein ihrer Möglichkeiten. Machtmissbrauch hat viele Gesichter, jetzt auch das einer jungen Frau aus Stockholm.

(„Demut vor deinen Taten, Baby“ heißt ein Stück von Laura Naumann.)

instapathie

„Fuck Greta“ prangte noch vor kurzem auf den tiefergelegten Autos neben müden böhse-onkelz-Stickern, als vor böser Ohnmacht strotzende Klimawandelvergewaltigungsfantasie. Nun, da ich lese, was Greta Thunberg und „fridays for future“ (international) zum Terror gegen Israel instagramieren, fällt es mir wieder ein. Nur ist jetzt alles total verkehrt. Es ist, als ob der Judenhass, der nie auch nur einen Tag weg war, frische Nahrung bekommen hätte. Während die einen schweigen, kennen die andern immer schon den Täter. Auch Greta, mit der gnadenlosen Inbrunst derer, die auf der richtigen Seite stehen. Und der normale deutsche intellektuelle Mittelstand haucht oder flüstert seine Solidaritätsadressen nur, zur Feier der nebenordnenden Konjunktion: Das inflationäre „aber“ wirkt ob des realen Schreckens aberwitzig irreal. Selbstverständlich verdienen auch Palästinenser – nicht die Hamas – unser aller Hilfe, Empathie, Solidarität. Doch Israel? Auf Mitgefühl hat die gefühlte absolute Mehrheit keine Lust, es sei denn, es gelte nicht dem Staat der Juden. Können diese keine Opfer sein? Weil sie Juden sind? Wir spüren die Kälte, wir ahnen die Apathie, wir sehen den immer weniger verhohlenen Antisemitismus, der sich nach der Eruption vom 7. Oktober wie Asche auf alles legt.