Das ist Wahnsinn, rufen wir, die wir in München leben oder im Herbst wieder herkommen, in die bierdampfheiße Luft im viel zu engen Riesenzelt, glücklich von gar nichts, das ist Wahnsinn, grölen wir gleich wieder, mächtig angetrieben von einer irre internationalen Band, die nochmal den Wolfgang Petry spielt, im bayerischen Oktober, der in Wahrheit ein September ist, hinauf zum gemalten Sternenhimmel, um uns und allen zu zeigen, dass wir aller Macht der Welt entsagen außer der des Bieres und uns von keinem und keiner und niemandem irgend sagen lassen, was wir denken oder wählen oder lassen sollen. Das ist Wahnsinn, singen wir auf dem dritten Höhepunkt, wenn die Kapelle die absolute Herrschaft hat und wirklich alle folgen, das ist Wahnsinn, alle singen, grölen es, selig, noch nicht total betrunken. Es könnte sein, dass wir uns 2018 am deprimierenden Gefühl berauschen werden, dass sich der wahre Rausch, der echte Irrsinn anderswo ereignet, in diesem Augenblick, im Weißen Haus oder Palast oder am Ring oder im Reichstag, in noch einem Parlament, das seine Würde preisgibt. Bislang waren wir gut beraten, uns einmal im Jahr bewusstlos zu trinken. Vielleicht stehen im kommenden Herbst vor uns auf den schwankenden Bänken ein paar der Mächtigsten der Mächtigen und nehmen uns die Sicht, um lauter als wir es je vermochten in die Welt hinauszugrölen: Das ist Wahnsinn! Dann heißt es nüchtern werden und lange wach bleiben.
der Schlussakkord aus dem Essay „Das ist Wahnsinn“ für das neue Wespennest 174 zum Thema „Idiotie“