demut vor deinen bildern baby

Wie schnell es gehen kann: Eine Geste der Ohnmacht erobert die Welt – ein kleines Mädchen sitzt zum Schulstreik auf der Straße um für die Rettung der Erde zu kämpfen. Eine neue, sich selbst noch fremde Macht wächst heran. Jetzt posiert Greta Thunberg für die Befreiung Palästinas. Nichts für den Klimaschutz. Sie hat schon vor der UN in New York gesprochen und vor den Bossen der globalen Wirtschaft in Davos, jetzt wollte sie etwas zu Gaza sagen, vielmehr zeigen. Im Bewusstsein ihrer Möglichkeiten. Machtmissbrauch hat viele Gesichter, jetzt auch das einer jungen Frau aus Stockholm.

(„Demut vor deinen Taten, Baby“ heißt ein Stück von Laura Naumann.)

instapathie

„Fuck Greta“ prangte noch vor kurzem auf den tiefergelegten Autos neben müden böhse-onkelz-Stickern, als vor böser Ohnmacht strotzende Klimawandelvergewaltigungsfantasie. Nun, da ich lese, was Greta Thunberg und „fridays for future“ (international) zum Terror gegen Israel instagramieren, fällt es mir wieder ein. Nur ist jetzt alles total verkehrt. Es ist, als ob der Judenhass, der nie auch nur einen Tag weg war, frische Nahrung bekommen hätte. Während die einen schweigen, kennen die andern immer schon den Täter. Auch Greta, mit der gnadenlosen Inbrunst derer, die auf der richtigen Seite stehen. Und der normale deutsche intellektuelle Mittelstand haucht oder flüstert seine Solidaritätsadressen nur, zur Feier der nebenordnenden Konjunktion: Das inflationäre „aber“ wirkt ob des realen Schreckens aberwitzig irreal. Selbstverständlich verdienen auch Palästinenser – nicht die Hamas – unser aller Hilfe, Empathie, Solidarität. Doch Israel? Auf Mitgefühl hat die gefühlte absolute Mehrheit keine Lust, es sei denn, es gelte nicht dem Staat der Juden. Können diese keine Opfer sein? Weil sie Juden sind? Wir spüren die Kälte, wir ahnen die Apathie, wir sehen den immer weniger verhohlenen Antisemitismus, der sich nach der Eruption vom 7. Oktober wie Asche auf alles legt.

staatsräson

Entsetzen und Ohnmacht. Dürften die vorherrschenden Gefühle der Meisten auch hierzulande sein seit Samstag letzter Woche, als Terroristen der Hamas auf unfassbar barbarische Weise Israel – und Juden weltweit – das existentielle Gefühl der Sicherheit raubten – einer wehrhaften, bis dahin hellwachen, hoch effizienten Sicherheit.
Israel, das Land, das die Überlebenden einer totalen Ausrottung aus der Diaspora versammelte. Heimholte. Das Land, das seither immer allen Juden offen steht – als Hafen im Meer des antisemitischen Hasses weltweit, der längst auch wieder Menschen aus der Mitte Europas vertreibt, aus Frankreich etwa, aus Deutschland.
Ja, Deutschland.
Dem Land der Täter. Wo der Holocaust in einer Villa am Wannsee geplant und mithilfe der Todesschwadronen und einer „wohlgesinnten“ Mehrheit Wirklichkeit wurde. Dem Land, das einen langen Weg zurücklegte über Entnazifizierung, Wiedergutmachung, Einsicht in Schuld und moralische Reife. Überreife. Dem Land, das sich seiner Vergangenheitspolitik inzwischen nicht mehr so sicher sein kann, 2023, da eine Partei, die verächtlich von Vogelschiss und Schuldkult spricht, immer mehr an Boden gewinnt.
Drum ist es nicht nur angemessen, sondern notwendig, dass Berlin das Wort von der Staatsräson bemüht – das Angela Merkel öffentlich gemacht und das Eingang gefunden hat in den Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung: „Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson…. „. „Niemals verhandelbar“, sagte Merkel noch, 2008 im israelischen Parlament, der Knesset.
Staatsräson – ein scheppernd großes Wort. Ein wenig zu feierlich, um nicht Argwohn zu erregen. Staatsräson – die Vernunft der Herrschaft – war die Macht, das Recht des Fürsten, die Interessen des Staates, seines Staates, über alles zu stellen. Über alle Einzelnen. Für die Untertanen eine Drohung, kein Versprechen.
So ist das in der Demokratie natürlich nicht mehr gemeint – rechtlich bedeutet es wenig. Die Staatsräson, die uns zu unverbrüchlichen Freunden Israels ermahnt, ist eine Beschwörung – und ein Pfeifen im Walde, eine Formel wider die Furcht, dass alles schon lange oder bald nicht mehr so unverbrüchlich fest sein könnte.
Während die Ampelparteien – und die Union – die Freundschaft beschworen – kam von der AfD und der Linken – nichts. Dafür werden schon wieder erste Stimmen laut, die dem angegriffenen Land empfehlen, Verständnis zu haben für die Tat, es mit der Antwort auf den Terror nicht zu übertreiben – nicht „schon wieder“?
Wie sagt Michel Friedman gerade: Alle müssten, um zu begreifen, erst mal Empathie für die Angegriffenen entwickeln, am Anfang stünde schlicht die Einsicht, dass Israel hier Opfer ist, nicht Täter.
Man braucht gar nicht an die Freunde der Hamas auf deutschen Straßen – von Neukölln bis Duisburg – zu denken. In Deutschland pflegen zwischen 20 und 30 Prozent antisemitische Vorurteile. Inzwischen rückt die geläuterte Republik unübersehbar nach rechts, immer mehr Politiker fordern eine souveränere Nation, und der Hass auf „die Juden“ und/oder Israel nimmt spürbar zu, nicht ab, auch in der Mitte der Gesellschaft. Nein, bei weitem nicht alle im Land der Täter empfinden mit Israel, wie es die Rede von der Staatsräson glauben machen will.
Würden nicht immer mehr Politiker aus dem Schatten der deutschen Schuld treten wollen. Würden nicht schon wieder Stimmen laut, in Berlin, die Israel Verhandlungen empfehlen. Empfänden tatsächlich alle quer durch die Parteien, was der Verlust an Sicherheit für Juden nicht nur in Israel, sondern weltweit, bedeutet – stünden wir wohl wirklich, aus vollem Herzen, an der Seite des verwundeten Landes, auch ohne eine Formel, die so viel bedeutet und zugleich – so wenig.

Kommentar auf bayern2, Radiowelt, 13. Oktober, und BR24, Politik und Hintergrund, 15. Oktober 2023